Montag, 10. Juni 2013

Der Frankfurter Osten

Es ist JUNI 2013 und wir befinden uns nach einem kleinen Eingrooven bei einer ADFC Tour zum ersten Mal in diesem Jahr auf Besichtigungstour von Frankfurter Trinkhallen. Warum erst jetzt? Nun, es war nass, es war kalt, mein neuer Job macht mich gebraucht, aber heute galt es wir wollten es allen beweisen, wir waren heiß, wir wollten raus, wir wollten den Frankfurter Trinkhallenbetreibern das Bier aus den Kühltruhen reißen!
Treffpunkt ist an unserem Wohnzimmer, Heidruns Trinkstübchen, an der Wittelsbacher Allee. Es galt, Hände zu schütteln. Heidrun, als 90jährige stand sie noch vor wenigen Jahren hinter dem Tresen, starb im vergangenen Jahr. Wir erinnerten bereits in diesem Blog.

Haydars Treff

Aber nun auf in den Osten! Den Frankfurter Teil, der morgens die Sonne als erstes sieht, hatten wir bisher völlig vernachlässigt. Welch Fehler!!! So stehen doch in Fechenheim fast alle Trinkhallen an ihrem schönen Platz, wo sie auch 2003 standen, als ich mich das letzte Mal auf Trinkhallentour in diesem Viertel befand. Eine der wenigen Hütten die geopfert wurden, stand in der Birsteiner Straße und wurde von Haydar betrieben. Haydar ließ sich nicht unterkriegen und verkauft sein Bier nun schräg gegenüber im ehemaligen Charlys Babbeleck, neben dem ehemaligen Supermarkt. Dank der von ihm erfolgreich betriebenen Trinkhalle hatte der Markt keine Chance mehr und musste vor mehreren Jahren seine automatischen Schiebetüren schließen. Auf Haydars alter Trinkhalle wächst Gras. Gegenüber dem Gras, so munkelt man, wohnt ein engagierter Rechtsanwalt für Ruhe und Ordnung. Haydar ist gar nicht so unglücklich darüber. Seine neue Hütte ist ein stabiler Flachbau, neue Fenster wurden ihm von der Radebergergruppe auch bezahlt. Wenn jetzt der Dachdecker seine im letzten Jahr beendete Arbeit nun auch noch richtig ordentlich macht und das Wasser durch die Regenrinne und nicht daneben abfließt, wäre doch alles wieder tiptop!

Bei Haydar tagt der Stammtisch Di-So 9-22 Uhr

Der anwesende verrentete Dachdecker mit einer Rolls Royce Kappe, „von dene hab ich 32 Stick, für Fünf Euro verkaaf ich sie Dir – Schoppegeld“, bietet sofort neue Schweißbahnen an und genehmigt sich erst mal ein Pils. „Hier wird nicht frankfoddderisch gebabbelt, mir sind Hessen hier wird HESSISCH parliert!“ „Hier habbe sie neulisch auch aan festgeneomme, er hat sei Miet in bar bezahlt, die habbe sich gefracht, woherrer soviel Geld hat.“ Auf den benachbarten Bierbänken haben derweil Skatkarten vom FSV-Fanshop die Unterhaltung auf 18, 20, 22 Kontra Re gelenkt. Zur Trinkhalle gehört auch eine kleine Kneipe, Eintracht und FSV-Schal hängen friedlich beieinander. Von dem kürzlich in die Regionalliga aus Geldmangel zwangsabgestiegenen Fußballverein von der anderen Mainseite ist nichts zu sehen, wobei alle gewissenhaft beschwören, sich in friedlicher Koexistenz mit allen Fanlagern zu befinden.

Haydars Treff, Birsteiner Str. 65


Das ist der Ort von Haydars früherer Trinkhalle, keine 100m entfernt

 

Treff Cassella Eck

Wir fahren quasi fast direkt zu Eftichia Katsiou. Er betreibt die architektonisch besonders gestaltete Trinkhalle an der Hanau Landstraße genau dort wo eine Fußgängerbrücke die Straße überquert. Genau dieser schicke Beton, ich tippe auf Jahrgang ca. 1960 bietet seiner Trinkhalle Schutz vor Regen oder auch Licht. Auch wenn es scheint, dass die Brücke das Trinkhüttchen förmlich erdrückt, wird erst der geplante Abriss der Brücke im Jahr 2016 Herrn Katsiou den Ouzo übel aufstoßen lassen. Die, im übrigen bis heute nicht fertiggestellte Brücke soll unter die Straße gelegt werden und heißt dann Unterführung. Die Trinkhalle „Treff Cassella Eck“ wird abgerissen. Ob und wann sie wieder aufgebaut wird, weiß niemand. Wir wünschen an dieser Stelle dem Betreiber viel Glück und erinnern an die erfolgreiche Verteidigung der Trinkhalle auf der Insel an der Klagemauer in Rödelheim. Auch diese wird von einem Griechen betrieben. Auch für die Griechen in Frankfurt heißt es „Wehrt euch!“

Unter der Brücke, die über die Hanauer Landstraße führt, Öffnungszeiten Mo-Sa 6-23, So 11-23 Uhr

Herr Katsiou begrüßt seine Gäste mit „Dschin Dobre“. Ich glaube alle polnischen Handwerker der Stadt haben bei Herrn Katsiuo den Feierabendstammtisch. Wer einen Fliesenleger braucht oder tapezieren will, sollte am Cassella Eck Angebote einholen. Der Dachdecker von der Birsteiner Straße checkt auch noch mal die Lage: „Erst lehnt er meinen Schnaps ab und dann trinkt er mein Bier!“ Mal sehen ob wir uns heute noch wiedersehen.

Cassella Eck; Cassellastr. o.N.

Venus Eck

Für uns geht es mit Hilfe der Brücke über die Hanauer Landstraße über das Gelände der Cassella Fabrik: „Den Kesselwagen habe ich als Modell, da machen wir nachher noch ein Foto!“ Am anderen Ende der Brücke, in der Leo Gans Straße steht das „Venus Eck“, ein Ort für Bierliebhaber und mit Wasser Fremdgehende: „Solange ich die Medikamente nehmen muss, trinke ich kein Alkohol, ist doch schließlich ein Wasserhäuschen.“ Der Betreiber ist gelernter Metzger aus Duisburg. „In dem Job habe ich meine Ruhe, nachdem wir ein paar Leute rausgeschmissen haben, haben wir hier Ruhe.“ Die vorhin gemachte Behauptung, dass auf der anderen Seite der Brücke alle polnischen Handwerker Frankfurts ihren Stammtisch haben ist definitiv falsch. Dort steht höchstens die Hälfte, die andere Hälfte, steht hier am Venus Eck. Auch am Venus Eck empfiehlt man uns zur Doris zu gehen, da ist auf jeden Fall immer was los, außerdem, „das zweite Bier gibt’s bei ihr aufs Haus.“

Venus Eck; Leo Gans Str. 83

Die andere Seite der Brücke, Öffnungszeiten Mo-Fr 6-22:30, Sa und So 8-22:30

Mamas Kummerkiste

Vorbei am Kiosk in der Konstanzer Straße landen wir direkt auf Doris' Bierbänken. Doris war früher Marktleiterin im Netto, aktiv im Kleingartenverein, im Geflügelzuchtverein, seit zwei Jahren leitet sie die Trinkhalle, für alles andere ist keine Zeit mehr. Die Trinkhalle betreibt sie voller Enthusiasmus. Sie möchte die Tradition der Wasserhäuschen bei sich weiterleben lassen. An einer Seitenwand im Kiosk soll eine Fotosammlung mit antiquarischen Aufnahmen von Frankfurter Trinkhallen entstehen. Gut, dass DER Wasserhäuschenfotograf Gloss dabei ist. „Meine Trinkhallenausstellung ist derzeit im Homburger Hof!“ Ich denke man wird sich einigen. Mit uns am Tisch saß ein Republikflüchtling. Auch er war in Bautzen, ein paar Monate. „Was über Bautzen erzählt wird, ist zum Teil ein großer Scheiß! Das war ein ganz normaler Knast mit politischen Häftlingen. Wenn man keinen Stress gemacht hat, haben einen die Wärter auch ordentlich behandelt.“ Zu den spannenden Fluchtgeschichten hole ich mir doch gleich ein zweites Pils. „Doris, ich nehm noch eins. “Doris: „Bitte, das geht aufs Haus!“ Ich bin baff.

Mamas kümmert sich von Mo-Sa von 6-14 und 16-21 Uhr und So 8-13 Uhr

Die erste Republikflucht verlief einfach. Der junge Mann hat sich in den Zug gesetzt und wollte in den Westen fahren. Der Ausweis war nicht der richtige, der anschließende Gefängnisaufenthalt war echt. Bei seiner letzten Republikflucht hatte er sich erst etwas Mut angetrunken und wollte anschließend über die Grenze ins Westviertel latschen. Heute geht das. Damals hat ihn der Grenzer aufgehalten. Echt ist auch Doris Herz für arme Schlucker, bei ihr findet auch schon mal eine Schuldnerberatung statt. Aber ziehen weiter zur Mainspitze. Erzählen werde ich aber nichts mehr, an der Mainspitze gabs das Feierabendpils vom Trinkhallenurlaubstag.

Mamas Kummerkiste; Fachfeldstr. 68