Es ist JUNI 2013
und wir befinden uns nach einem kleinen Eingrooven bei einer ADFC
Tour zum ersten Mal in diesem Jahr auf Besichtigungstour von
Frankfurter Trinkhallen. Warum erst jetzt? Nun, es war nass, es war
kalt, mein neuer Job macht mich gebraucht, aber heute galt es wir
wollten es allen beweisen, wir waren heiß, wir wollten raus, wir
wollten den Frankfurter Trinkhallenbetreibern das Bier aus den
Kühltruhen reißen!
Treffpunkt ist an
unserem Wohnzimmer, Heidruns Trinkstübchen, an der Wittelsbacher
Allee. Es galt, Hände zu schütteln. Heidrun, als 90jährige
stand sie noch vor wenigen Jahren hinter dem Tresen, starb im vergangenen Jahr. Wir
erinnerten bereits in diesem Blog.
Haydars Treff
Aber nun auf in
den Osten! Den Frankfurter Teil, der morgens die Sonne als erstes
sieht, hatten wir bisher völlig vernachlässigt. Welch Fehler!!! So
stehen doch in Fechenheim fast alle Trinkhallen an ihrem schönen
Platz, wo sie auch 2003 standen, als ich mich das letzte Mal auf
Trinkhallentour in diesem Viertel befand. Eine der wenigen Hütten
die geopfert wurden, stand in der Birsteiner Straße und wurde von
Haydar betrieben. Haydar ließ sich nicht unterkriegen und verkauft
sein Bier nun schräg gegenüber im ehemaligen Charlys Babbeleck,
neben dem ehemaligen Supermarkt. Dank der von ihm erfolgreich
betriebenen Trinkhalle hatte der Markt keine Chance mehr und musste
vor mehreren Jahren seine automatischen Schiebetüren schließen. Auf
Haydars alter Trinkhalle wächst Gras. Gegenüber dem Gras, so
munkelt man, wohnt ein engagierter Rechtsanwalt für Ruhe und
Ordnung. Haydar ist gar nicht so unglücklich darüber. Seine neue
Hütte ist ein stabiler Flachbau, neue Fenster wurden ihm von der
Radebergergruppe auch bezahlt. Wenn jetzt der Dachdecker seine im
letzten Jahr beendete Arbeit nun auch noch richtig ordentlich macht
und das Wasser durch die Regenrinne und nicht daneben abfließt, wäre
doch alles wieder tiptop!
Bei Haydar tagt der Stammtisch Di-So 9-22 Uhr |
Der anwesende
verrentete Dachdecker mit einer Rolls Royce Kappe, „von dene hab
ich 32 Stick, für Fünf Euro verkaaf ich sie Dir – Schoppegeld“,
bietet sofort neue Schweißbahnen an und genehmigt sich erst mal ein
Pils. „Hier wird nicht frankfoddderisch gebabbelt, mir sind Hessen
hier wird HESSISCH parliert!“ „Hier habbe sie neulisch auch aan
festgeneomme, er hat sei Miet in bar bezahlt, die habbe sich
gefracht, woherrer soviel Geld hat.“ Auf den benachbarten
Bierbänken haben derweil Skatkarten vom FSV-Fanshop die Unterhaltung
auf 18, 20, 22 Kontra Re gelenkt. Zur Trinkhalle gehört auch eine
kleine Kneipe, Eintracht und FSV-Schal hängen friedlich beieinander.
Von dem kürzlich in die Regionalliga aus Geldmangel
zwangsabgestiegenen Fußballverein von der anderen Mainseite ist
nichts zu sehen, wobei alle gewissenhaft beschwören, sich in
friedlicher Koexistenz mit allen Fanlagern zu befinden.
Haydars Treff, Birsteiner Str. 65
Haydars Treff, Birsteiner Str. 65
Das ist der Ort von Haydars früherer Trinkhalle, keine 100m entfernt |
Treff Cassella Eck
Wir fahren quasi
fast direkt zu Eftichia Katsiou. Er betreibt die architektonisch
besonders gestaltete Trinkhalle an der Hanau Landstraße genau dort
wo eine Fußgängerbrücke die Straße überquert. Genau dieser
schicke Beton, ich tippe auf Jahrgang ca. 1960 bietet seiner
Trinkhalle Schutz vor Regen oder auch Licht. Auch wenn es scheint,
dass die Brücke das Trinkhüttchen förmlich erdrückt, wird erst
der geplante Abriss der Brücke im Jahr 2016 Herrn Katsiou den Ouzo
übel aufstoßen lassen. Die, im übrigen bis heute nicht
fertiggestellte Brücke soll unter die Straße gelegt werden und
heißt dann Unterführung. Die Trinkhalle „Treff Cassella Eck“
wird abgerissen. Ob und wann sie wieder aufgebaut wird, weiß
niemand. Wir wünschen an dieser Stelle dem Betreiber viel Glück und
erinnern an die erfolgreiche Verteidigung der Trinkhalle auf der
Insel an der Klagemauer in Rödelheim. Auch diese wird von einem
Griechen betrieben. Auch für die Griechen in Frankfurt heißt es
„Wehrt euch!“
Unter der Brücke, die über die Hanauer Landstraße führt, Öffnungszeiten Mo-Sa 6-23, So 11-23 Uhr |
Herr Katsiou
begrüßt seine Gäste mit „Dschin Dobre“. Ich glaube alle
polnischen Handwerker der Stadt haben bei Herrn Katsiuo den
Feierabendstammtisch. Wer einen Fliesenleger braucht oder tapezieren
will, sollte am Cassella Eck Angebote einholen. Der Dachdecker von
der Birsteiner Straße checkt auch noch mal die Lage: „Erst lehnt
er meinen Schnaps ab und dann trinkt er mein Bier!“ Mal sehen ob
wir uns heute noch wiedersehen.
Cassella Eck; Cassellastr. o.N.
Cassella Eck; Cassellastr. o.N.
Venus Eck
Für uns geht es
mit Hilfe der Brücke über die Hanauer Landstraße über das Gelände
der Cassella Fabrik: „Den Kesselwagen habe ich als Modell, da
machen wir nachher noch ein Foto!“ Am anderen Ende der Brücke, in
der Leo Gans Straße steht das „Venus Eck“, ein Ort für
Bierliebhaber und mit Wasser Fremdgehende: „Solange ich die
Medikamente nehmen muss, trinke ich kein Alkohol, ist doch
schließlich ein Wasserhäuschen.“ Der Betreiber ist gelernter
Metzger aus Duisburg. „In dem Job habe ich meine Ruhe, nachdem wir
ein paar Leute rausgeschmissen haben, haben wir hier Ruhe.“ Die
vorhin gemachte Behauptung, dass auf der anderen Seite der Brücke
alle polnischen Handwerker Frankfurts ihren Stammtisch haben ist
definitiv falsch. Dort steht höchstens die Hälfte, die andere
Hälfte, steht hier am Venus Eck. Auch am Venus Eck empfiehlt man uns
zur Doris zu gehen, da ist auf jeden Fall immer was los, außerdem,
„das zweite Bier gibt’s bei ihr aufs Haus.“
Venus Eck; Leo Gans Str. 83
Venus Eck; Leo Gans Str. 83
Die andere Seite der Brücke, Öffnungszeiten Mo-Fr 6-22:30, Sa und So 8-22:30 |
Mamas Kummerkiste
Vorbei am Kiosk in
der Konstanzer Straße landen wir direkt auf Doris' Bierbänken.
Doris war früher Marktleiterin im Netto, aktiv im Kleingartenverein,
im Geflügelzuchtverein, seit zwei Jahren leitet sie die Trinkhalle,
für alles andere ist keine Zeit mehr. Die Trinkhalle betreibt sie
voller Enthusiasmus. Sie möchte die Tradition der Wasserhäuschen
bei sich weiterleben lassen. An einer Seitenwand im Kiosk soll eine
Fotosammlung mit antiquarischen Aufnahmen von Frankfurter Trinkhallen
entstehen. Gut, dass DER Wasserhäuschenfotograf Gloss dabei ist.
„Meine Trinkhallenausstellung ist derzeit im Homburger Hof!“ Ich
denke man wird sich einigen. Mit uns am Tisch saß ein
Republikflüchtling. Auch er war in Bautzen, ein paar Monate. „Was
über Bautzen erzählt wird, ist zum Teil ein großer Scheiß! Das
war ein ganz normaler Knast mit politischen Häftlingen. Wenn man
keinen Stress gemacht hat, haben einen die Wärter auch ordentlich
behandelt.“ Zu den spannenden Fluchtgeschichten hole ich mir doch
gleich ein zweites Pils. „Doris, ich nehm noch eins. “Doris:
„Bitte, das geht aufs Haus!“ Ich bin baff.
Mamas kümmert sich von Mo-Sa von 6-14 und 16-21 Uhr und So 8-13 Uhr |
Die erste
Republikflucht verlief einfach. Der junge Mann hat sich in den Zug
gesetzt und wollte in den Westen fahren. Der Ausweis war nicht der
richtige, der anschließende Gefängnisaufenthalt war echt. Bei
seiner letzten Republikflucht hatte er sich erst etwas Mut
angetrunken und wollte anschließend über die Grenze ins Westviertel
latschen. Heute geht das. Damals hat ihn der Grenzer aufgehalten.
Echt ist auch Doris Herz für arme Schlucker, bei ihr findet auch
schon mal eine Schuldnerberatung statt. Aber ziehen weiter zur
Mainspitze. Erzählen werde ich aber nichts mehr, an der Mainspitze
gabs das Feierabendpils vom Trinkhallenurlaubstag.
Mamas Kummerkiste; Fachfeldstr. 68
Mamas Kummerkiste; Fachfeldstr. 68