Montag, 10. Dezember 2012

Der Nordwesten

Trinkhalle Adlereck, Frankfurt Nordwest, wir befinden uns in der Schnittstelle zwischen Römerstadt, dort stehen Häuser des Architekten Ernst May unter Denkmalschutz und der Nordweststadt, Frankfurter Siedlungsbau aus der Mitte von 1960. Diese Häuser werden wohl vorerst nicht unter dem Denkmalschutz stehen. Ginge man jeweils wenige Hundert Meter in andere Richtungen würden wir die Nidda mit ihrer Natur oder das dörfliche Heddernheim finden, früher katholisch, weil Teil des Erzbistums Mainz. An Fasching wird die Geschichte wieder lebendig, Heddernheim hat einen eigenen Karnevalsumzug, Klaa Paris.
Aber wir stehen jetzt näher am Beton des Frankfurter Siedlungsbaus. Allein stehen wir nicht, ein chinesischer Faltenhund passt auf seinen Besitzer auf. Dabei strahlt der Hund die Nervosität eines buddhistischen Mönches aus. Wir erfahren, dass die nächste Trinkhalle in Richtung Heddernheim geschlossen ist, von weiteren Trinkhallen in der Umgebung erfahren wir wenig, heute ist nur die Stammkundschaft zugegen, Fremdgehen an anderen Trinkhallen ausgeschlossen.

Vorne der Faltenhund, In der Römerstadt 114, Öffnungszeiten täglich 10-22 Uhr

Wenige Meter entfernt ist der Römer Shop. Im Fenster nicht nur Gummibärchen, das Poster einer Adriastadt lässt auf einen Jugoslawen schließen. Nicht so voreilig: An der Kaffeemaschine ist ein alter Bekannter von Hubert, ein Trinkhallenpächter alter Schule, ein Grieche. Trinkhalle Friedberger Platz, Trinkhalle Eyssenckstraße, beide hat er betrieben, beide hat er verkauft, vor über zehn Jahren. Huberts Fotos von damals hat er bewahrt. Damals gab es auch am Friedberger Platz noch den Imbiss Pilz. Am 22.11.2012 wurde dort die letzte Currywurst gewürzt. Der Platz soll umgebaut werden, der Laden muss weg, eine Generationen übergreifende Imbissdynastie ist beendet. Von hier aus übersende ich verschärften Protest an die Verantwortlichen! Laut FNP hat der Betreiber einen Antrag auf Leistungen nach Hartz IV gestellt.

Römershop in der Römerstr. 152a, Öffnungszeiten Mo-Fr 8-13 und 16-21 Uhr, Sa 9-13 und 16-21 Uhr So, 10-21 Uhr

Mit dem Fahrrad durch die Nordweststadt. Hier heißt jeder Weg Bernadottestraße, woanders heißt alles Hammerskjöldring. Ernst Kahn Straße heißt auch viel, eine Trinkhalle gibt’s dort auch, aber am Samstag nicht. Wir suchen die Häuschen im Gerhard Hauptmann Ring, landen bei Helga in der Thomas Mann Str. 6a im sogenannten „Kleinen Zentrum“, einer kleinen Einkaufspassage aus den 1980ern. Helga König hat vor ca. zehn Jahren in der Verwaltung in Zusammenarbeit mit dem Insolvenzverwalter des „Kleinen Zentrums“ gearbeitet. Damals waren fast alle Geschäfte Tag und Nacht geschlossen und vergittert. Ein Frankfurter, der sein Geld mit dem Kaufen, Verkaufen und Vermieten von Häusern verdient kaufte es und vermietet die Geschäfte derzeit an ein Jugendzentrum, an einen Kulturverein, eine Moschee. Der Verein „Brücke 71“ ist auch involviert und stärkt den sozialen Zusammenhalt. Geschäftlich ist die Luft raus, Schlecker ist pleite, neben Helgas Treffpunkt existiert lediglich eine Apotheke und nebenan ist ein Netto Markt. Die Trinkhalle als eine von drei Geschäften in einem Einkaufszentrum! Alle kommen, Kinder legen fünf oder zehn Cent für eine oder zwei Süßigkeiten auf den Tisch und Franco, der noch vor einer Stunde Kioske mit Getränken belieferte, lässt sich nun von Helga beliefern, Prost. Wir fahren jetzt Pizza essen bei Giovanni in Heddernheim.

Der Treffpunkt, Thomas Mann Str. 6a, Öffnungszeiten täglich 9-19, donnerstags geschlossen

Mal kreuz, mal quer, Baustellen, abbiegen verboten, Schlamm auf der Straße, auf dem Riedberg ist noch nicht alles clean. Wir müssen da durch, entlang der U-Bahn über die A661 nach Bonames, am „Haus Nidda“ kauft und verkauft seit 20 Jahren Herr Bozkurt Süßigkeiten und Zeitungen für den Stadtteil. Für uns zwei Jägermeister. Eine Freundin hilft heute aus, er hilft gleich einem Kunden ein Sofa aus dem Auto in die Wohnung zu tragen. Ein anderer braucht frische Luft und befeuchtet seinen Hals, während in seinem Ofen der Braten brät.
Vor 20 Jahren, damals war er 19, bot das Betreiben einer Trinkhalle für Herrn Bozkurt eine echte berufliche Perspektive. Damals schlossen die Geschäfte 18:30 Uhr, kein Mensch las Zeitungen im Internet. Auch wenn der Springer-Konzern als Eigentümer der Bildzeitung kürzlich neue Gewinnrekorde und eine Umsatzrendite von 26% vermeldete, sagt das nichts über den Zeitungsverkauf an der Trinkhalle aus. Jeder Kioskbetreiber breit und weit verkauft heute im Vergleich zu 1990 nur noch einen Bruchteil der Zeitungen. Dennoch, auf dem Tresen von Herrn Bozkurt ist kein Platz für Flaschenbier, dort liegt auf knapp vier Meter ausschließlich Bedrucktes. Die Gäste mit ihren Glasflaschen finden ihren Platz neben der Trinkhalle. 

Einkaufskiosk, Harheimer Weg 30, Öffnungszeiten Mo-Sa 8-22 Uhr, So 9-22 Uhr

Die letzte Station für heute ist die Trinkhalle in der Friedrich Stampfer Straße in Bonames, „Nein das hier ist Nieder Eschbach!“ „Nein – Nieder Eschbach fängt dort an, die Trinkhalle steht in Bonames.“ Ich habe es nicht herausfinden können. Dort am Tresen steht eine Schwäbin, die auch schon Bremen gesehen hat, Stuttgart kennt sie nur noch aus der Zeitung. Einzelne Zigaretten verkauft sie auch, der Deckel zum Anschreiben liegt bereit für den Griff. Ohne Zahlungserinnerung kann kein säumiger Schuldner den Kiosk passieren. 1980er Bindung-Reklame, Erbsensuppe, einen Hinterraum. Uns bleibt die Tür verschlossen, Stammplatzgarantie muss man sich erarbeiten, das kann Jahre dauern.
Die Chefin kommt später, später heißt ein paar Tage später. Es ist der 30. es ist Monatsende, an diesem 30. ist auch ein polnischer Feiertag. Feiern an der Trinkhalle, Uneinigkeiten auf Polnisch. Wer ist der lauteste, wer baut seinen Brustkorb am größten auf? Blitz, Donner? Der Chefin kommt, aus Gewitter werden dunkle Wolken, jetzt die Abkühlung. Eine Trinkhallenwirtin zwischen einer vollen Hand Feiernder. An jedem Finger hat sie einen, am Häuschen ist wieder Stille, morgen scheint dann auch wieder die Sonne.

Alte Bindingreklame in der Friedrich Stampfer Str. 10a, Öffnungszeiten täglich 9-22 Uhr

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