Der Bart ist echt, hinten die Trinkhalle von Ratomir |
Das Frankfurter Wasserhäuschen geht jetzt vom Tresen ins Internet. Vielleicht bleibt es dort sogar länger. Auf Frankfurter Straßen und Plätzen werden es weniger. Hier soll immer wieder ein neues hinzu kommen, immer als Würdigung. Also werden hier Geschichten geschrieben, immer als reiner Tatsachenbericht, wissenschaftlichst fundiert. Wers nicht im Blog lesen will, kann auch ans Häuschen gehen. Die Adresse steht immer dabei.
Sonntag, 27. Mai 2012
Wasserhäuschen von Ratomir Cverovic
Es nieselt an diesem Tag, so empfängt
uns erst einmal nur die Reklame der Bildzeitung. Der Wirt lässt sich
vom Fernseher die Bundesliga vom Vortag zusammenfassen. Bei diesem
Wetter hat er seinen Stammplatz im Hinterraum, der gleichzeitig
Wohnzimmer und Küche ist. Ratomir suchte einst sein Glück auf
Deutschlands Baustellen, seit über 40 Jahren heißen Cevapcici für ihn nun Frikadellen. Fünf Jahre Bau waren ihm genug und er
legte die Kelle beiseite. Statt Steinen schleppt er nun Kisten und
steht hinter einem Tresen. Vor 35 Jahren lief das Geschäft, 20.000
DM musste er als Eintrittpreis für die Selbständigkeit zahlen. Seit
dem ist er Trinkhallenpächter.
Den Kaffee serviert er in der
Porzellantasse, die er auch als Kaffee-Service verkauft. Er verkauft auch
Damenschuhspanner, das Stück für 1,99 Euro. Die Kühlschränke
müssten das gleiche Lebensalter wie das Häuschen haben: 1950er
Jahre, gebaut von Firma Jöst. Damit ist es einer der ältesten, die in
diesem Zustand in Frankfurt existieren. Die Thekenlänge
entspricht noch damaligen Notwendigkeiten, fast acht Meter.
Trinkhallenhistoriker freuen sich, wenn sie unter dem Lack an einigen
Stellen die originale rote Jöst-Lackierung erkennen. Auch selten,
aber nützlich ist das im Verkaufsraum hängende Waschbecken, zum
Obst waschen, zum Zähne Putzen, für Kaffeewasser.
Der Gast neben uns nennt sich „der
Rauschebart“. Der Rauschebart braucht für den Bundesligatipp ein
Bier. Dabei fällt ihm der letzte Woche gewonnene 500 Euro Schein aus
dem zerknitterten alten Tippschein „Ach hier isser, ich hatte ihn
schon gesucht.“ Vor Jahren hatte er noch Anteile bei der Berliner
Eastsidegallerie, die „heute mit Geldscheinen gepflastert“ ist.
Er kennt sich aus in Frankfurt, „ich brachte auch damals die zwei
Trinkhallenräuber, die Frau Hoff mit einer Waffe bedrohten zur
Strecke“ und beißt dabei in die Blutwurst. Die Eastsidegallerie
hat bis heute kein Bild von ihm. Sein Hund beobachtet die Szene und
verweist Ungebetene kurz und präzise des Feldes. Er weiß wer
hierher gehört.
Neben der Trinkhalle ist eine Schule,
Kinder finden jedoch selten den Weg zu Ratomirs Fruchtgummis. Es
sieht ganz so aus, als blieben die auf den Kühlschränken
gestapelten Papiertüten noch lange ungenutzt. Wahrscheinlich wird
Ratomir der letzte Betreiber dieser Trinkhalle sein.
Öffnungszeiten täglich 10-22.30 Uhr, Berkersheimer Weg 32a
Dienstag, 8. Mai 2012
Johanna Teschplatz, bei Pedro
Auf dem Johanna Tesch Platz, gegenüber
des Stadions am Bornheimer Hang, am Eingang zur Siedlung Riederwald,
die zwischen 1909 und 1912 vom Volks-Bau- und Sparverein Frankfurt am
Main errichtet wurde, verkauft Pedro täglich Zigaretten, Zeitung,
Bier oder Süßes an jene Bewohner, die den Sozialdemokraten in
Frankfurt am ehesten die Treue halten. Wie soll es auch anders sein,
wenn die ersten Buchstaben die jeder Grundschüler lesen kann,
Lasalle- oder Karl Marx Straße heißen. Widerstand liegt im Blut,
man diskutiert über die am Sonntagmorgen stattfindende
Demonstrationen gegen die Baumaßnahme Riederwaldtunnel. Noch geht es
um den Schutz von vier Kastanien. Dass es beim Bau von vierspurigen
Asphaltbahnen meist nicht bei diesen Auswirkungen bleibt, zeigt sich
auch daran, dass der Tunnelausgang der verlängerten Autobahn gut
einhundert Meter von Pedro entfernt liegen müsste. Wer sitzt dann
auf den Stühlen, die an zwei Wänden von Pedros Häuschen lehnen?
Vielleicht findet sich auch darin der Grund, warum der
Trinkhalleneigentümer, meist ist es ein großer Lebensmittelkonzern,
den viele als Produzent von Kuchenfertigmischungen kennen, keine
Handwerker an dieser Hütte vorbeischickt. Zumindest die Farbe ist
arg traditionell. Auch die Holzmarkisen sind ganz alte Schule und
damit schön. Oder liegt es an der fehlenden Hausnummer, die Pedros
Trinkhalle wie andere viele freistehenden Trinkhallen ein fach nicht
hat. Seine offizielle Adresse Johanna Tesch Platz o.N. „O.N.“
steht für ohne Nummer.
Eine Trinkhalle könnte an jener Stelle
schon vor dem zweiten Weltkrieg gestanden haben, dieser Bau stammt
vermutlich aus den frühen 1960ern, er trägt klassische Fliese in
beige. Pedro ist Italiener, aus Palermo, er ist Italiener und
Sizilianer. Klimaanlagen hat er früher für Teves gebaut, den Namen
der Firma gibt es nicht mehr. Erst hatte er ein Lokal in Oberrad und
jetzt steht er in dieser Bude. Seit fast 20 Jahren holen sich bei ihm
die Kunden die Bildzeitung, die derzeit mit der Aktion „Zehn,
zahlen, 12 lesen“ nicht nur bei Pedro beworben wird. Eine
Rettungsaktion für Kioske oder für das gedruckte Wort?
Die an Kordeln hängende Jägermeister-
und Hochstädterreklame verspricht diversen Kaffeegenuss, wir sind zu
Gast bei Italienern, was eine Kundin nicht von abhält den kleinsten
Geldschein mit der Aufforderung „Mach mir zwei“ zu geben. Von
Latte Macchiato sprach sie nicht. Pedro, ein letzter Gruß, wir
fahren in die Motzstraße von früher die Ilse Herzog das Regiment
auf Trab hielt.
(Pedros Wasserhäuschen, Johanna Tesch Platz, Öffnungszeiten Mo-Do 6-22 Uhr, Fr 6-22.30 Uhr, Sa 8-22.30 Uhr, So 9-22 Uhr)
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